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2. Juni 2012 | Deutschland | 

Gott erfahren mitten in unserer Lebenswirklichkeit - Ein Kongressbericht


Kongress zur Neuevangelisierung in Schönstatt (Foto: H. Grabowska)

Kongress zur Neuevangelisierung in Schönstatt (Foto: H. Grabowska)

Dr. Nurit Stosiek / Hbre. „Es ist die Frage nach der Erfahrung Gottes, die wir in diesen Tagen stellen, ge­nau­er ge­sagt, die Frage nach der Erfahrung Gottes mitten in unserer Le­bens­wirk­lichkeit, mitten in unserer Gesellschaft.“ Mit diesen Worten bündelte Erzbischof Dr. Robert Zollitsch bei seinem öffentlichen Vortrag am Abend des 31. Mai, was die rund 180 Teilnehmerinnen und Teilnehmer des wissenschaftlichen Kongresses „Wohin ist Gott? Gott erfahren in einer säkularen Welt“ intensiv beschäftigte.

Das Pater-Kentenich-Haus auf Berg Schönstatt hat sich als Tagungsort bewährt (Foto: Brehm)

Das Pater-Kentenich-Haus auf Berg Schönstatt hat sich als Tagungsort bewährt (Foto: Brehm)

Das säkulare Zeitalter als Herausforderung und Chance begreifen

Sein Vorschlag, einen solchen Kongress zu veranstalten, habe darauf gezielt, als Kirche in Deutschland sich der Frage nach Gott zu stellen, die Frage also „was es heißt, im Heute zu glauben“, sagte Zollitsch zum Abschluss des Kongresses. Es sei wichtig, die Angst vor dem, was säkulares Zeitalter bedeute, abzulegen. „Wir wollten das säkulare Zeitalter als Herausforderung und Chance sehen und ich glaube, das ist uns hier auch wirklich gelungen.“ Erkenntnisse aus dem Kongress wolle er in den Rat zur Neuevangelisierung und in die von Papst Benedikt XVI. einberufene Bischofssynode einbringen.

In einem öffentlichen Abendvortrag während des Kongresses rückte Erzbischof Dr. Robert Zollitsch die entscheidende Bedeutung der Gottesfrage in die Mitte: „Denn der Gotteserfahrung kommt entscheidende Bedeutung zu. ‚Um das Wort des Evangeliums fruchtbar zu verkünden, braucht es zuallererst eine tiefgehende Gotteserfahrung.’ So Papst Benedikt XVI“. Nicht begreifen, sondern ergriffen werden, mit diesem einprägsamen Wort fasste Zollitsch die Wende vom Denken zur Erfahrung zusammen. Die Erfahrung sei es, die der veränderten Gestalt der Gottesfrage entspreche und Antworten eröffne, die Leben trage. Die programmatische Zusammenfassung des Kongresses durch Erzbischof Zollitsch wurde als hilfreich empfunden, die vielfältigen Facetten und Denkwege dieser Tage zusammenzusehen und nun in die Praxis umzusetzen.

Abschlusspanel (v.l.n.r.): Erzbischof Zollitsch, Prof. Dr. Joachim Söder, Dr. Katharina Karl, Dr. Hubertus Schönemann, Pfr. Klemens Armbruster, Johannes Rutzmoser (Foto: Brehm)

Abschlusspanel (v.l.n.r.): Erzbischof Zollitsch, Prof. Dr. Joachim Söder, Dr. Katharina Karl, Dr. Hubertus Schönemann, Pfr. Klemens Armbruster, Johannes Rutzmoser (Foto: Brehm)

Als Initiator und Schirmherr des Kongresses nahm der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz an der gesamten Tagung teil, die in den knapp drei Tagen dicht gefüllt war: Insgesamt elf Kongressvorträge, sechs Dialogforen in der Mittagszeit, Pausengespräche in der denkBAR und reger Austausch bei den Mahlzeiten – in dieser Woche nach Pfingsten hatte man den Eindruck, dass der Heilige Geist im Pater-Kentenich-Haus als Kongresszentrum die Herzen und Köpfe unaufhaltsam „im Thema“ hielt.

Dr. Katharina Karl: Evangelisieren ein radikales „Mit“, mit der Welt, als Prozess des „Drinseins“ (Foto: Brehm)

Dr. Katharina Karl: Evangelisieren ein radikales „Mit", mit der Welt, als Prozess des „Drinseins" (Foto: Brehm)

Evangelisieren: ein radikales „Mit“

„Es machte Spaß, der Verschiedenheit zuzuhören“, resümierte die Pastoraltheologin Dr. Katharina Karl, München, als Teilnehmerin des Kongresses im Abschlusspanel und hob auch die „sehr anregende Streitkultur“ in den geistigen Auseinandersetzungen hervor. „Auch die Kontakte am Rande waren sehr bereichernd“. In der Kongress-Frage: „Wohin ist Gott“ habe sie die Gewissheit erlangt: Gott ist da. Das Wort „Mystik ist Gegenwart“ sei für sie ein wichtiger Impuls des Evangelisierens und darüber hinaus verstünde sie nach diesem Kongress Evangelisieren noch mehr als radikales „Mit“: mit der Welt, als Prozess des „Drinseins“. Hier zeige sich die Herausforderung einer Empirie des Evangelisierens.

Dass Evangelisierung ein Kommunikationsgeschehen ist, sei ihr neu bewusst geworden, sagte Karl. Da gehe sie ein Stück unzufrieden nach Hause. „Müssen wir Christen nicht auch viel stärker unser Ringen, unsere Andersorte, wo wir Gnade erfahren haben, mitteilen? Die Glaubenserfahrungen sind ja eigentlich der Grund für das Evangelisieren“. Die Theologin fasste ihre „Tagungsernte“ in ein Pauluswort: Ich habe es noch nicht erreicht, aber ich strebe danach, es zu ergreifen, weil ich von Christus ergriffen worden bin.

Johannes Rutzmoser: Die subjektive Erfahrung meines Glaubens kann mir niemand nehmen (Foto: Brehm)

Johannes Rutzmoser: Die subjektive Erfahrung meines Glaubens kann mir niemand nehmen (Foto: Brehm)

Überzeugend sind subjektive Glaubenserfahrungen

„Es ist ziemlich hart, als Christ in der säkularen Welt zu leben.“ Diese Feststellung stellte Johannes Rutzmoser, Diplomingenieur, München, an den Anfang seiner Tagungsernte. „Ich erlebe das in meinem Beruf besonders stark, weil da einfach Zweck-Mittel-Rationalität unser Medium ist, nicht die Wahrheit.“ In dieser Realität bewegten sich sehr viele Menschen, und das wolle er noch einmal in den Raum stellen. Hilfreiche Erkenntnis sei hier für ihn der Aspekt der Subjektivität gewesen, der in verschiedenen Vorträgen immer wieder zur Sprache gekommen sei: „Die subjektive Erfahrung meines Glaubens kann mir niemand nehmen. Ich glaube, von dieser Seite muss viel mehr gedacht werden in der Kirche, und diese Seite ist auch die Überzeugendste.“ Rutzmoser hob hervor, gerade die Referate der Professoren Brantzen und Sellmann hätten ihm bewusst gemacht: „Hier gibt es ein Mehr an Lebensqualität, das ich benennen kann durch meine Glaubenserfahrung“. Es lohne sich, sich dieser säkularen Welt auszusetzen, weil man hier einen ganz neuen Zugang zum Glauben bekomme. Vor allem dann, wenn – wie es Erzbischof Zollitsch in seinem Vortrag ausgedrückt habe aus dem säkularen Erlebnis eine Erfahrung werde. Solche Erfahrungen könnten attraktives Lebensmodell werden, das andere anspreche.

Pfarrer Klemens Armbruster: Ein Flug durch die Wolken der Beiträge (Foto: Brehm)

Pfarrer Klemens Armbruster: Ein Flug durch die Wolken der Beiträge (Foto: Brehm)

Ein Flug durch die Wolken der Beiträge

Pfarrer Klemens Armbruster, Seelsorgeamt Freiburg, versuchte in seinem Panel-Statement einen "Flug durch die Wolken" (Hochschild) der Beiträge der verschiedenen Referenten. Schon am ersten Abend habe Joachim Söder aus philosophischer Sicht eine motivierende Klärung des Begriffes Säkularität in den Kongress hineingegeben. Und am Ende des Kongresses habe Magnus Striet die Welthaftigkeit der Welt ins Bewusstsein gerufen, die eine eigene Dignität, Wertigkeit und Würde habe.

Konzentration auf das Subjekt

Ludger Honnefelder habe in seinem Blick auf die Religion der Moderne die stärkere Konzentration auf das Subjekt betont. Der auf Honnefelder folgende Beitrag Michael Hochschilds legte die soziologische Sichtweise dazu.

Konversive Prozesse genauer unter die Lupe nehmen

Matthias Sellmann und Guido Bausenhart waren schon in der den Vorträgen folgenden Diskussion für Armbruster interessant geworden. Unabsichtlich war zwischen beiden ein Stuhl frei geblieben, der für Armbruster Ideengeber wurde: Während Matthias Sellmann stärker die anthropologischen Bedingungen für ein Leben in Fülle benannte und Glauben schon dort ansiedelte, findet in der Darstellung Guido Bausenharts der Mensch als Glaubender ein Leben in Fülle. Armbruster, selbst „Promotor“ der Initiative "Wege erwachsenen Glaubens", wurde durch den leeren Stuhl zwischen beiden Referenten zu der Frage angeregt, unter welchen Bedingungen für einen Menschen, der auf natürliche Weise „Leben in Fülle“ erfahre, Konversion hin zum Glauben möglich werde? „Wie wird man gläubig, wie kommt man zum Glauben?“ Ihm sei aufgefallen, dass nur Erzbischof Zollitsch in seinem Vortrag einmal von „Bekehrung“ gesprochen habe. Aber die Frage, wie Gott in das Leben eines Menschen „einbreche“ sei interessant, denn da entstehe ein „konversiver Prozess“. Diesen Prozess der Konversion genauer in Blick zu nehmen, sah er als einen Impuls, den er aus diesem Kongress mitnehme.

Wissenschaftlicher Disput: Honnefelder und Hochschild (Foto: Brehm)

Wissenschaftlicher Disput: Honnefelder und Hochschild (Foto: Brehm)

Nachfragen aus dem Publikum (Foto: Brehm)

Nachfragen aus dem Publikum (Foto: Brehm)

Gespräch mit dem Publikum (Foto: Brehm)

Gespräch mit dem Publikum (Foto: Brehm)

Unterscheidung von religiösem und gläubigem Menschen

Als hilfreich benannte Armbruster die Unterscheidung der Pastoraltheologin Maria Widl zwischen religiösem und gläubigem Menschen. „Die Frage der Säkularisierung, der Welthaftigkeit der Welt scheint klar und aussagbar zu sein. Aber die Frage, wie wird ein Mensch gläubig, was geschieht in seinem Innern, wie bricht Gott ein – sozusagen die Gotteserinnerung – da braucht es noch mehr Klärung. Rechnen wir damit, dass diese Gotteserinnerung für Menschen Anlass wird, eine Öffnung ermöglicht, dass Gott in ihr Leben einbrechen kann?“ Armbruster kommentierte damit den pastoraltheologischen Teil des Kongresses, in dem neben Maria Widl auch Hubertus Schönemann und Hubertus Brantzen referierten.

Andersorte

„Wenn wir beginnen zu inkulturieren, könnte es passieren, dass mitten im Alltagstun Gott ins Leben einbricht, an den sogenannten Andersorten“ ergänzte Armbruster.Wie muss unsere Verkündigung aussehen, dass sie damit rechnet, dass Gott ins Leben einbricht?“
Mit dieser Frage bezog sich Klemens Armbruster auf den Vortrag von Hans-Joachim Sander. Sander und P. Lothar Penners hatten die pastoraltheologischen Überlegungen von Schönemann, Widl und Brantzen nochmals durch neue Blickrichtungen angereichert.

Bereicherndes Miteinander verschiedener Spiritualitäten

Am Ende des Abschlusspanels kamen nochmals die beiden Vertreter des Vorbereitungsteams zu Wort, die im Wesentlichen auch die Moderation dieser Tage übernommen hatten:
Er habe „Lust auf die Moderne“ bekommen, sagte Dr. Hubertus Schönemann. „Diese Tage haben mich bestärkt, Modernität als etwas Positives und als Chance zu sehen, als einen Ansatzpunkt, in neuer Weise das Evangelium ins Wort zu bringen“. Auch das Miteinander verschiedener Spiritualitäten habe er als sehr bereichernd erfahren. „Wir haben miteinander Pluralität gestaltet und erlebt.“

Ein Kongress in einladendem Ambiente (Foto: Brehm)

Ein Kongress in einladendem Ambiente (Foto: Brehm)

Säkularisierungsphänomen eine Chance

Prof. Dr. Joachim Söder kommentierte aus der Sicht des Wissenschaftlers, dass in der Diskussion von Vertretern ganz verschiedener Fachbereiche deutlich geworden sei, dass Säkularisierung keine Subtraktionsgeschichte sei, also das was übrig bleibe, wenn die Welt ganz entzaubert sei. „Das Säkularisierungsphänomen ist als etwas durchaus Positives aufgearbeitet worden, als etwas, was uns eine Chance bietet. Diese Chance hat nicht nur wissenschaftliche Implikationen, sondern sie kann praktisch genutzt werden“. Erzbischof Dr. Robert Zollitsch habe in seinem öffentlichen Vortrag dazu „einige interessante politische Konkretisierungsmöglichkeiten aufgezeigt“.

Pfingstliche Erfahrung

Man kann wohl sagen, dass sich in diesen Tagen unter den rund 180 Teilnehmern so etwas wie eine pfingstliche Erfahrung ereignet hat. Das war spürbar an der Dynamik und Freude am Ende des Kongresses. Wer dabei war, kann nicht schweigen von dem, was er reichlich aufgenommen hat – und wird noch lange zu tun haben, die vielfältigen Impulse in die eigene Praxis hineinzunehmen.

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Kongress-Aula (Foto: Brehm)

Kongress-Aula (Foto: Brehm)


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